Ich würde sagen, die Sache mit der Tarnung neben dem Försterstand hat ausgezeichnet geklappt - die Vögel hatten das Grün meines Tarps jedenfalls sehr gerne. Oder überhaupt nicht. Wie dem auch sei - des Morgens kennzeichnen weiße Flecken mein Dach. Viel davon wird der nächste Regen und der nach ihm kommende mit sich nehmen.
Ich finde, Mandarinen sind unglaublich lecker, und es ist schön, jedes Mal, wenn ich eine esse, denke ich an Jakob.



In den ersten wahrlichen Regentropfen des Tages, frühstücke ich mit Blick auf den Kanal der Madame von Rhein, die etwas weiter den Kanal der Sarre trifft. Es tröpfelt, aber was macht das schon, wenn man Brioche mit Schokocreme bei sich hat.
Die Kapelle der Diana lässt etwas auf sich warten und ab hier folge ich wieder einem Zeichen & nicht mehr vordergründig meinem Kompass wie seit Saint Louis. Zwischen dem Étang - See von Gondrexange und einem kleineren zuvor, den Kanälen entlang.
An meiner Frühstücksbank sehe ich die erste Markierung des GR5. Dem werde ich von hier an bis Toul folgen. Als wir Zuhause meine Karten studierten, gab es ein paar Orte, die wir fest im Auge behielten. Nadelsteckpunktorte. Diane Capelle ist der letzte dieser Orte. Bis hier hin bin ich immer und immer wieder mit meinem Finger die roten Linien der Wanderwege entlanggefahren. Wo eine Hütte, ein freies Feld oder eine vielversprechende Friedhofsmauer sein könnte. Bis Diane Capelle, denn meine letzte Vogesen Karte endet im Wald hinter Fribourg.







Der Ort heißt auch Diane Capelle und als ich dort ankomme, stehen die Wolken tief. Wie die Notre Dame im letzten Sommer, ist nun diese Église in ein Gerüst gehüllt und ihre Tore sind verschlossen. Geschützt bin ich dennoch, die singende Kirche im Rücken - ein fünfminütiges Glockenspiel & die Bodenflächen des Gerüsts dienen mir als Dach vor dem Regen. Der Wind bläst mein Tarp trocken und ich wärme mein Inneres und meine Hände an einer Tasse Kaffee.
Was danach passiert, lässt sich schwer in Worte fassen. Die Wolken ziehen über mir, ziehen weiter und ich denke, das werde ich auch tun. Nur manchmal, da kommt es anders. So ist das mit dem Leben.
Als würden welche über mir eine ausgiebige Wasserschlacht veranstalten, lässt der Himmel alles los, was er hat, bin ich zwei Schritte fort von den Stufen der Kirche.
Da ist dieses Haus. Beim Hereinkommen in den Ort ist es mir bereits aufgefallen. Da ist so viel in dem wenig Garten, das man vor dem Haus sieht. Es ist, als lache die Hausfassade.
Ich musste sehr, und manchmal muss man sich trauen. Ich ging an die Tür und dort klebte ein Schild, dass die Klingel defekt sei und man an der Veranda klopfen soll. Also klopfte ich. Wartete. Und dann kam eine Frau - Gertrude und machte mir auf. Ich stand vor ihr als wäre ich in ein Fass gefallen und versuchte, ihr zu erklären, wer ich bin und dass ich ganz dringend aufs Klo muss. Meine Worte stolperten nur so übereinander.
Gertrude öffnet mir die Verandapforte, zeigt mir den Weg. Es ist noch dunkel drinnen, aber eigentlich geht es nur gerade aus.
Ich komme zurück und da sitzt sie und hat einen Stapel Postkarten in der Hand. Und sie sagt, dass sie mir die schenken möchte. Ich knie mich neben sie auf den Teppich und sie sagt, dass sie alle Karten gemalt hat. Dass sie Malerin ist, schon ihr ganzes Leben.
Ihr Name ist Gertrude Chall und sie ist Künstlerin vom Blut in den Boden.
Jetzt ist Licht an und ich sehe: an den Wänden, auf den Tischen und angelehnt, ihre Malereien. La peinture, das hat sie gelernt.
Und da sitze ich, neben dieser Frau und mir kommen Tränen in die Augen. Postkarten liebe ich so sehr, und sie hat sie mir einfach geschenkt. Zusammen machen wir ein Paket für meine Mama - von Künstlerin zu Künstlerin. Kunst braucht Kunst zum Leben - oder ist es nicht eigentlich das Leben, das der Kunst bedarf?
Auch ihren Mann, Mathieu, lerne ich kennen. Er war Ingenieur und spielt jetzt jeden Tag Klavier, schreibt gerne Briefe und wenn die beiden miteinander sprechen, sind es weniger Worte, die fallen und mehr ihre Augen und all die Zeit, die sie einander kennen, die miteinander sprechen.









In ihrer Familie gibt es ein Grundstück mit viel Wiese, Platz zum Sein und einer Gartenhütte. Ich darf dort bleiben, für die Nacht und für so lange ich mag.
Mathieu beschreibt mir, wie ich dorthin komme, zuletzt an der Pappelallee vorbei, und Gertrude möchte sichergehen, dass ich ankomme. Wir nehmen ihren Rollstuhl und sie kommt mit. Sie öffnet ihre Verandatür und die Sonne ist wieder da.
Am Tor zur Cabane stellen wir den Rollstuhl ab und sie kommt mit bis zur Tür. Zeigt mir alles und ich kann sehen, sie liebt diesen Ort.
Ich bringe sie noch mit zurück nach Hause und wir verabschieden uns für bis morgen.
Von einem kurzen Regenschauer überrascht auf den Weg zu meinem kurz-zeit-Heim, genieße ich mein Ankommen dort. Da klopft es - es sind Adele und Gaetan, die Tochter der Künstlerin und ihr Mann und sie haben eine Tasche voll Essen dabei. Die sagt, unter Reisenden müssen wir uns unterstützen.
Unter den vielen guten Sachen ist auch ein Kichererbsensalat und der zergeht mir auf der Zunge. Am Tag darauf fragte ich sie nach dem Rezept und habe doch vergessen, es aufzuschreiben.
Regentropfen fallen auf ein Dach und ich werd' kein bisschen nass!


21. April 2025
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Gertrudes Paket erreichte mich so überraschend wie du vor ihrer Tür standest. Sie schrieb mir: Ich schloss Bekanntschaft mit einem mutigen Mädchen. Einem Engel,der mit dem Regen vom Himmel fiel, öffnete ich die Tür. Wie aufregend, dass du und nun auch ich einen so tiefgreifenden Eindruck von der Kunst und Poesie eines französischen Malerlebens einfangen durftest. MERCI pour le souvenir!